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Die Seele hat die Fähigkeit, sich unsichtbar zu machen, auch für denjenigen, der sie in sich trägt. So zu tun, als hätte sie keine Existenzberechtigung außer jener, die nächtlichen Träume mit Bildern einer absurden Wirklichkeit zu quälen.

In unserem beschäftigen Leben kann das Befinden der Seele ruhig ignoriert werden. Ihre Unsichtbarkeit ist nur eine Frage der Übung. Als einzig sichtbare Spur bleibt ein harter Zug im Gesicht, glanzlose Augen, hängende Mundwinkel. Dass die Falten sich mit der Zeit tiefer graben, gilt als normaler Alterungsprozess.

Manche Gesichter sind zu Fratzen erstarrt. Ihr einst blühendes Aussehen ist auch für Phantasiebegabte nicht mehr zu erahnen. Sie begegnen uns auf der Straße, in der U-Bahn, im Supermarkt, sogar im Fernsehen. Die ausdruckslosen Gesichter waren einst sprechend, lachend, zornig. Was ist passiert?

Was im Gesicht steht, ist auch im Herzen. Womit ich die meiste Zeit des Tages verbringe, verändert meine Gefühle langsam und subtil.

Selten sucht ein Erstarrender jemanden, der die Stahlhaut seiner Seele zerbricht. Dabei wäre das so einfach, man müsste sie nur leicht antippen, allerdings im richtigen Winkel zur richtigen Zeit. Es knackt, der Panzer zerbricht mühelos. Was darunter zum Vorschein kommt, ist so verwundbar, dass es am Sauerstoff des prallen Lebens zu ersticken droht.

Dieses Etwas war bei unserer Geburt groß und stark, bereit, das Leben einzuatmen und seinem Wesen entsprechend zu wachsen.

Schon bald bekommt die junge Pflanze den Sauerstoffmangel der Zivilisierung zu spüren. Um zu überleben, muss sie sich den Bedürfnissen anderer anpassen. Die Seele umgibt sich mit einer Schutzhülle, hart genug, um Geschosse von außen an sich abprallen zu lassen.

Dem Erwachsenen wird der Panzer zur zweiten Haut, die keine verletzenden Pfeile durchlässt. An den Luftmangel hat sie sich längst gewöhnt. Kritisch wird es nur, wenn jemand die Stahlhaut zufällig anbricht. All das Verborgene will auf einmal heraus, sich in all der Pracht zeigen, die im Laufe der Jahre auf ein Vielfaches angewachsen und mit so viel Energie geladen ist, dass es die Seele erschlägt.

Es erschlägt auch denjenigen, der gewagt hat, den Panzer zu knacken. Er wurde gewarnt, hat aber nichts verstanden, weil seine Seele keine Panzersprache kennt. Nun sind beide ungeschützt, der Boden unter den Füßen schwankt. Die einzige Frage lautet: ist es die Sache wert?