FREUDE

Was ist das eigentlich, die Freude? Obwohl jeder sie kennt und viele mit ihr Geld verdienen, hinterlässt sie keine sichtbare Spur. Außer, wenn sie fehlt.

Es gibt viele Gründe, sich zu freuen. All die Ziele, die es täglich zu erreichen gilt, hinter jedem winkt die Freude des Erfolges. Wie eine verlockende Frucht leuchtet sie in der Ferne, ungeahnte Süße versprechend. Ich stürme los, überwinde alle Widerstände, den Geschmack der Freude auf der Zunge. Kurz vor Erreichen des Zieles, als ich schon zubeißen und es auskosten möchte, taucht die Frucht des nächsten Zieles auf, schöner, größer, süßer. Ich renne erneut los, der nächste Gipfel leuchtet vor mir und hinter ihm ein noch höherer.

Ich bleibe im Dauerlauf, immer wieder rasante Sprints einlegend, ohne jemals stehen zu bleiben und die Freude auszukosten. Die perfekte Methode, um die Karriereleiter nach oben zu steigen. Auch das persönliche Leben braucht Ziele, die anderen haben sie auch. Konkurrenz ist der beste Antrieb. Nur einmal werde ich gebremst, als mein Körper mir den Dienst verweigert. Er tut es neuerdings öfter, ausgebrannt an Freudlosigkeit.

Muss ich den Fernseher einschalten, um ein strahlendes Gesicht zu sehen, jenes Gefühl zu ahnen, mit dem ich morgens aufwachen, mich auf den Tag freuen und die Welt für all das umarmen möchte, was sie mir in Wahrheit vorenthält? Eine Arbeit, die wirklich erfüllt, Menschen, die ihrerseits erfüllt durchs Leben gehen und mit mir teilen wollen.

Stelle keine Fragen, die Freude ist eine Utopie, in der Werbung gut zu verkaufen, aber in Wahrheit weder greif- noch angreifbar. Somit ist ihre Abnahme nicht in Zahl und Gramm zu messen. Wenn sie ganz verloren geht, ist nichts passiert. Die Freude kann man sich anziehen, anschminken, anessen, dafür reicht das Geld allemal. Wie lange noch?

Ist die jetzige Krise in Wahrheit eine riesige Wunde, die wir  unserer Lebensfreude zugefügt haben? Unser Motor läuft seit langem auf Reserve. Jetzt stottert er im Leerlauf, seinen wahren Bedürfnissen entfremdet.

Dass irgendwann jemand die Freude als wichtigsten Treibstoff des Lebens bezeichnet hat, entlockt mir ein Lächeln. Das erste seit langem. Es will sich zum befreiten Lachen ausdehnen. Ich werde aufhören zu rennen und nach den Früchten zu greifen. Vielleicht bleibt dann der ganze Baum der Freude einfach vor mir stehen.