Archiv für den Autor: Anja Krystyn

ES REICHT!

Den meisten von uns reicht es schon lange. Die Maske ist zum Symbol der Unfreiheit geworden. In unserer demokratischen Gesellschaft müssen wir uns diktieren lassen, ob wir ins Kaffehaus dürfen, ins Fitnessstudio, zum Friseur. Nein, wir dürfen nicht, weil die Infektionszahlen schon wieder steigen. Das Schlimmste dabei ist, dass mir das nur scheinbar ein anderes menschliches Wesen diktiert, In Wahrheit ist es ein unsichtbares Virus, das seit Monaten die Gesundheit der Menschen terrorisiert.

Zum Glück nicht von allen. Manche Gesundgebliebene halten die Maßnahmen für völlig überzogen. Da höre  ich wütende Sprüche: „Mir reicht´s! Diese Einschränkungen sind eine Frechheit, keiner wird mir befehlen, mit wem ich wann wohin gehe. Wenn die Idioten alles schließen, dann lade ich mir die Leute nach Hause ein, da dürfen sie nicht kontrollieren, da kann mir keiner was verbieten.“

Das stimmt, die Sache hat nur einen Haken: nicht die Polizei  bestimmt, ob sich jemand bei mir zuhause ansteckt, sondern  das Virus. Das Virus freut sich, wenn Menschen zusammenkommen, da kann es von einem auf den anderen springen und sich so richtig breitmachen. Die Erfahrung des letzten Jahres hat gezeigt: Je mehr Menschen zusammenkommen, umso mehr stecken sich an. Wenn mehr Menschen sich mit dem Virus anstecken, ist es wahrscheinlich, dass einer von ihnen stirbt. Diese Seuche ist gefährlich, Menschen sterben daran. Das ist keine Erfindung der Politik, das ist Tatsache.

Sollen Menschen sterben? Wer möchte verantworten, dass durch seine Party andere vom Virus angesteckt werden und einer stirbt? Ich möchte mich für so etwas nicht verantwortlich fühlen. Deswegen gibt es bei mir bis auf weiteres keine Party, und ich gehe auf keine, egal, ob jemand es verbietet.

Auch das ist Freiheit, einfach zu verzichten. Ja, es  nervt, es dauert schon zu lange, stimmt. Aber sind wir so schwach, dass wir das nicht aushalten?

 

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Die Seele hat die Fähigkeit, sich unsichtbar zu machen, auch für denjenigen, der sie in sich trägt. So zu tun, als hätte sie keine Existenzberechtigung außer jener, die nächtlichen Träume mit Bildern einer absurden Wirklichkeit zu quälen.

In unserem beschäftigen Leben kann das Befinden der Seele ruhig ignoriert werden. Ihre Unsichtbarkeit ist nur eine Frage der Übung. Als einzig sichtbare Spur bleibt ein harter Zug im Gesicht, glanzlose Augen, hängende Mundwinkel. Dass die Falten sich mit der Zeit tiefer graben, gilt als normaler Alterungsprozess.

Manche Gesichter sind zu Fratzen erstarrt. Ihr einst blühendes Aussehen ist auch für Phantasiebegabte nicht mehr zu erahnen. Sie begegnen uns auf der Straße, in der U-Bahn, im Supermarkt, sogar im Fernsehen. Die ausdruckslosen Gesichter waren einst sprechend, lachend, zornig. Was ist passiert?

Was im Gesicht steht, ist auch im Herzen. Womit ich die meiste Zeit des Tages verbringe, verändert meine Gefühle langsam und subtil.

Selten sucht ein Erstarrender jemanden, der die Stahlhaut seiner Seele zerbricht. Dabei wäre das so einfach, man müsste sie nur leicht antippen, allerdings im richtigen Winkel zur richtigen Zeit. Es knackt, der Panzer zerbricht mühelos. Was darunter zum Vorschein kommt, ist so verwundbar, dass es am Sauerstoff des prallen Lebens zu ersticken droht.

Dieses Etwas war bei unserer Geburt groß und stark, bereit, das Leben einzuatmen und seinem Wesen entsprechend zu wachsen.

Schon bald bekommt die junge Pflanze den Sauerstoffmangel der Zivilisierung zu spüren. Um zu überleben, muss sie sich den Bedürfnissen anderer anpassen. Die Seele umgibt sich mit einer Schutzhülle, hart genug, um Geschosse von außen an sich abprallen zu lassen.

Dem Erwachsenen wird der Panzer zur zweiten Haut, die keine verletzenden Pfeile durchlässt. An den Luftmangel hat sie sich längst gewöhnt. Kritisch wird es nur, wenn jemand die Stahlhaut zufällig anbricht. All das Verborgene will auf einmal heraus, sich in all der Pracht zeigen, die im Laufe der Jahre auf ein Vielfaches angewachsen und mit so viel Energie geladen ist, dass es die Seele erschlägt.

Es erschlägt auch denjenigen, der gewagt hat, den Panzer zu knacken. Er wurde gewarnt, hat aber nichts verstanden, weil seine Seele keine Panzersprache kennt. Nun sind beide ungeschützt, der Boden unter den Füßen schwankt. Die einzige Frage lautet: ist es die Sache wert?

FREUDE

Was ist das eigentlich, die Freude? Obwohl jeder sie kennt und viele mit ihr Geld verdienen, hinterlässt sie keine sichtbare Spur. Außer, wenn sie fehlt.

Es gibt viele Gründe, sich zu freuen. All die Ziele, die es täglich zu erreichen gilt, hinter jedem winkt die Freude des Erfolges. Wie eine verlockende Frucht leuchtet sie in der Ferne, ungeahnte Süße versprechend. Ich stürme los, überwinde alle Widerstände, den Geschmack der Freude auf der Zunge. Kurz vor Erreichen des Zieles, als ich schon zubeißen und es auskosten möchte, taucht die Frucht des nächsten Zieles auf, schöner, größer, süßer. Ich renne erneut los, der nächste Gipfel leuchtet vor mir und hinter ihm ein noch höherer.

Ich bleibe im Dauerlauf, immer wieder rasante Sprints einlegend, ohne jemals stehen zu bleiben und die Freude auszukosten. Die perfekte Methode, um die Karriereleiter nach oben zu steigen. Auch das persönliche Leben braucht Ziele, die anderen haben sie auch. Konkurrenz ist der beste Antrieb. Nur einmal werde ich gebremst, als mein Körper mir den Dienst verweigert. Er tut es neuerdings öfter, ausgebrannt an Freudlosigkeit.

Muss ich den Fernseher einschalten, um ein strahlendes Gesicht zu sehen, jenes Gefühl zu ahnen, mit dem ich morgens aufwachen, mich auf den Tag freuen und die Welt für all das umarmen möchte, was sie mir in Wahrheit vorenthält? Eine Arbeit, die wirklich erfüllt, Menschen, die ihrerseits erfüllt durchs Leben gehen und mit mir teilen wollen.

Stelle keine Fragen, die Freude ist eine Utopie, in der Werbung gut zu verkaufen, aber in Wahrheit weder greif- noch angreifbar. Somit ist ihre Abnahme nicht in Zahl und Gramm zu messen. Wenn sie ganz verloren geht, ist nichts passiert. Die Freude kann man sich anziehen, anschminken, anessen, dafür reicht das Geld allemal. Wie lange noch?

Ist die jetzige Krise in Wahrheit eine riesige Wunde, die wir  unserer Lebensfreude zugefügt haben? Unser Motor läuft seit langem auf Reserve. Jetzt stottert er im Leerlauf, seinen wahren Bedürfnissen entfremdet.

Dass irgendwann jemand die Freude als wichtigsten Treibstoff des Lebens bezeichnet hat, entlockt mir ein Lächeln. Das erste seit langem. Es will sich zum befreiten Lachen ausdehnen. Ich werde aufhören zu rennen und nach den Früchten zu greifen. Vielleicht bleibt dann der ganze Baum der Freude einfach vor mir stehen.

 

ERWACHSENSEIN

Erwachsensein – ein Privileg oder ein Befehl?             von Anja Krystyn

Jedenfalls nichts Freiwilliges, von dem man/frau sich abmelden könnte wie von einem Freifach in der Schule. Ist zu langweilig, verschieben wir es aufs nächste Jahr. Geht leider nicht, die Einberufung zum Erwachsensein erfolgt garantiert, Untauglichkeit ausgeschlossen. Desertieren geht nur bei mentaler Zurückgebliebenheit, und wer will das schon.

Die Vernunft soll alles regeln

Also kämpfen wir das Leben direkt aus den Kinderschuhen mit scharfen Waffen, egal, ob wir sie beherrschen oder nicht. Entsprechend sieht die Erwachsenenwelt aus. Ein Jonglieren zwischen sekundären Geschlechtmerkmalen und dem Versuch, diese zu beherrschen. Die neue Kraft im Gehirn macht`s möglich. Vernunft nennen wir sie, den Leitfaden allen Handelns, der das kindlich primitive „Ich will“ ersetzen soll.

  • Einfach toben, um etwas zu bekommen? Unmöglich, jetzt bitte höflich fragen und sich auf jeden Fall einen Anwalt nehmen.
  • Dem Nachbarn das größere Stück Kuchen einfach vom Teller fressen? Unmöglich, jetzt bitte einem Kunden faule Kredite aufschwatzen und dann dessen Wohnhaus samt Kuchenregal ersteigern.
  • In der Öffentlichkeit weinen wie früher als Kind, wenn mir danach zumute war? Unmöglich, jetzt bitte das Gesicht wahren und Antidepressiva nehmen.

Die Liste lässt sich beliebig fortsetzen und sollte unbedingt befolgt werden.

Wer will schon als infantil gelten?

Vernunft macht alles möglich und sich selbst in unseren Gehirnen breit wie ein alles vernebelnder Vorhang. Er drückt die Gefühle hinter die Sachzwänge, unbedingt und alternativlos. Niemand wagt sich zu entziehen und als infantil abgestempelt zu werden.

Wie eine Lawine rollt das Sollen und Müssen über uns hinweg. Das Kindliche wird in die unterste Etage des Seins geschüttet. Dort soll es gefälligst bleiben und sich höchstens beim Balzverhalten um den besten Geschlechtspartner nach oben wagen. Da ist nämlich kindliche Lust gefragt, sonst funktioniert es nicht, zum Glück. Aber bitte nichts ausufern lassen, der Kopf muss immer dabei bleiben.

Glaubt jemand ernsthaft, dass Gefühle diese Gewalt nicht rächen?

Sie springen als Sand ins Getriebe des Erwachsenseins und stören seinen Lauf. Manchmal bis zur völligen Blockade, die von Medizin und Psychologie mit blumigen Diagnosen bedacht wird.  Heilung gibt es selten, Pech gehabt, die Waffen der Vernunft sind machtlos.

Er-wachsen hat mit Er-wachen zu tun.

Demnach verharren wir alle im Dauerschlaf. In den Momenten des Wachwerdens sieht man die Welt viel klarer als die Vernunft es jemals vermag. Müssen und Nicht-Dürfen verschwinden zugunsten der Frage: „Was tut mir wirklich gut?“ Eine kindlich weise Frage, die Kinder nie stellen, sondern leben. Wir Erwachsenen stellen sie und leben sie nicht.

Das ist wohl der einzige Unterschied zwischen den Kleinen und den Großen. Verständlich, wenn jemand sich nicht entscheiden kann, auf welcher Seite der Schwelle er/sie stehen will. Bis es für alle klar und eindeutig gut ist, sollten wir das Wort „Erwachsen“ aus unserem Wortschatz streichen.